NORA SOBBE Mail |  
DE 25 24  23  22  21 |   EN 25 24  23  22  21
[speculative design][music performance with [sic]nals] DE | EN[graphic design][about]

25 DE Mentoring als Praxis


©Marcel Rickli

25


Mentoring als Praxis

Mentoring ist ein Lehr- und Lehrgefäss, das an Kunsthochschulen häufig praktiziert wird. Studierende treffen sich als Mentee mit einer Mentor*in, die Projektentwicklungen begleitet. Dabei ist die genaue Arbeitsweise oftmals Mentee und Mentor*in überlassen. Kann eine punktuelle Formalisierung von Mentoring-Sessions Gestaltungsspielraum öffnen?
Der Zettel-Spuck-Mechanismus initiiert einen Austausch zwischen verschiedenen Mentee- Mentor*in-Konstellationen und lädt dazu ein, gemeinsam Mentoring als Praxis zu vollziehen. Der Spuckmechanismus bietet eine punktuelle Formalisierung von Mentoring-Sessions, indem er Fragen/Aussagen/Methoden/Gesten zirkulieren lässt und Mentee/Mentor*in während Mentoring-Sessions zuspielt: Mentee/Mentor*in sind eingeladen, sich die Zettel anzueignen oder in einer Distanzierung davon, ihr eigenes Mentoringverständnis zu schärfen/kommunizieren. Eine Feedingstation lädt Mentees und Mentor*innen ein, den Mechanismus mit Aussagen/Fragen/Gesten/Methoden zu füttern und damit kommende Mentoring-Sessions zu informieren.

Der Spuckmechanismus wird während Mentoring-Sessions zwischen Mentee und Mentor*in positioniert und agiert gewissermaßen als Gestaltungsimperativ und lädt dazu ein, als Mentee und Mentor*in darauf zu reflektieren, ob eine momentane Formierung des Gesprächs der jeweils gewünschten funktionalen Bestimmung des Mentorats dient. Das Objekt versucht zwischen verschiedenen Vorverständnissen von Mentoring, die Mentee und Mentor*in mitbringen, zu vermitteln. Indem ich mich als Mentee oder Mentor*in physisch zu den Zetteln verhalte, die mich adressieren (indem ich sie ignoriere, integriere oder beiseite lege), wird für mein Gegenüber mein Vorverständnis des Mentoring, das sich in einer Aneignung der Zettel oder in einer Abgrenzung dazu artikuliert, diskutierbar. 

Dabei kann das Objekt die Funktion einer Kompliz*in (mein Mentoring-Verständnis formt sich in einer Aneignung von oder der Abgrenzung zu den Zetteln; das Mentoring–Verständnis meines Gegenübers artikuliert sich ebenfalls über seinen*ihren Umgang mit den Zetteln und wird damit diskutierbar), eines Störfaktors (im Fall von eingespielten Rollenverteilungen im Mentorat) oder einer Zeug*in (beiseite gelegte Zettel hinterlassen Spurenüber Entscheidungen im Gesprächsverlauf; das Mentoring-Gespräch kann weitere Mentoring-Gespräche informieren, indem Mentee oder Mentor*in sich im Anschluss entscheiden, an der Feedingstation Zettel einzuspeisen) einnehmen.

Teil der School of Commoons 25/26

Konzept Objekt: Nora Sobbe
Realisierung Objekt: Johannes Reck | Marcel Rickli 


    24 DE [sic]nals – intrapulse


    ©Marcel Rickli

    24


    [sic]nals – intrapulse

    Installation eines Wartezimmers als Vorraum zur Licht- und Luft-Therapie
    intrapulse installiert ein Wartezimmer in Reaktion auf den Ort der Erstaufführung des Projektes: Das Schatzalp Hotel Davos. Das Hotel ist ein ehemaliges Sanatorium, zu dem Anfang des 20. Jh. an Tuberkulose Erkrankte reisten und sich von der Luft- und Licht- Therapie Heilung versprachen. Die Lobby des Hotels legt mit einer umfassenden Fensterfront den Blick auf die Davoser Berglandschaft frei. Gäste, die sich heutzutage in ein Hotel im Kurort Davos einmieten, haben die Wahl, durch einen kleinen Aufpreis den “myclimate Klimafond Davos” zu unterstützen und damit “Verantwortung[...] für die momentan unvermeidbaren CO2-Emissionen [zu übernehmen][:] [d]er Gast wird aktiv und löst mit seinem Engagement Nachhaltigkeitsmaßnahmen im Hotel/Betrieb aus”.

    Die Verschiebung dessen, worauf sich ein Heilungsanspruch oder Maßnahmen des Sorgetragens richten – damals auf die an Tuberkulose leidenden Körper, heute auf einen Kurort, der auf Emissionen (u.a. des Hotelbetriebs) reagiert – hat uns nach einer aktuellen Lesart der Wendung Luft- und Licht-Therapie fragen lassen:

    Müssen wir womöglich unseren Blick über gewohnte materielle Grenzen des Lebendigen hinaus weiten, um eine Patient*in der Licht- und Luft-Therapie denken zu können, die der Komplexität dessen gerecht wird, was gängig unter der Dichotomie Lebendiges/und seine Umwelt gefasst wird?

    Im Wartezimmer-Setting von intrapulse – gewissermassen als Vorraum zur Licht- und Luft-Therapie – laden wir zur spekulativen Annäherung an Körper und Phänomene ein, die hier auf ihre Behandlung warten.

    We have become accustomed to considering the atmosphere, oceans, soils, and rocks as "environment”, "abiotic”, "physico-chemical”, "external conditions”, "geological". [...] It is because the activities of the beings we classically recognize as living overflow and exceed what we classically recognize as the inanimate world that we must, precisely, revise the idea that this world is inanimate. Sébastian Dutreuil, Gaia is alive

    Wir führten das Projekt ein weiteres Mal im Freibad Letzigraben in Zürich auf. Hier haben uns die ehemaligen Umkleidekabinen als Ort ineressiert – wie die Schatzalp regen sie als Glaskubus zum Nachdenken über Grenzziehungen zwischen Innen und Aussen | Lebendigem und seiner Umgebung an.

    PULSINDIKATOR | LEBENDIGES/UND SEINE UMGEBUNG
    Dramaturgischer Anhaltspunkt der Performance und beim Versuch, mehr als menschliche Körper/Phänomene ästhetisch zu denken, ist das Pulsmessen.
    Musikalisch orientiert anfangs der menschliche Puls. Wir greifen auf Stücke der Renaissance und auf eine zeitgenössische Komposition zurück, die sich bei Anweisungen zum musikalischen Metrum auf den menschlichen Puls beziehen. Die Bezugnahmen fallen unterschiedlich aus: In der Cardiophonie von Heinz Holliger steht das Tempo und die Klanglichkeit des menschlichen Puls im Fokus, bei den Renaissancestücken wird eher der Bewegungsablauf des menschlichen Herzen als Geste thematisiert. Mithilfe einer Schlauchverschaltung geben wir letztlich Phänomenen von Aussen einen Platz in unserem Wartezimmer. Der Mechnanismus funktioniert als Pulsindikator: Wir generieren Daten mithilfe eines Windsensors, die das Pulsieren von Wasser im gefüllten Schlauchsystem informieren. Beim Objekt-Design haben wir uns am Pulsfühlen/-tasten beim Menschen und am “Tactus-Schlagen”, einer historischen Praxis, musikalische Zeit für die ausführenden Musiker*innen zählbar zu machen, orientiert.


    HUMDITY VEST
    Mithilfe der Humidity Vest initiieren wir eine Relation zwischen Pflanze und Westenträger*in, die auffordert, nicht-menschliche Bedürfnisse in alltägliche Handlungsabläufe zu integrieren. Die Weste ist reaktiv auf die Wasserversorgung von umgebenden Zimmerpflanzen (mit einem Feuchtesensor präpariert) geschaltet und bläst sich auf, wenn eine Zimmerpflanze innerhalb eines bestimmten Radius an Wasserknappheit leidet. Mit anhaltendem Aufpumpen erhöht sich der Druck auf der Brust der Trägerin. die Träger*in kann das Aufblasen nur stoppen, indem sie die Wasserversorung der Pflanze sicherstellt und ihrem Bedürfnis nach Wasser nachkommt. Unter anderem geht die programmierte Interaktion von einem Interesse daran aus, wie routinierte Abläufe modifiziert werden, wenn sie für Bedürfnisse durchlässig werden, die gewöhnlich ausgespart werden (können). Dabei liegt der Fokus nicht allein auf einem Einbezug der Bedürfnisse nicht-menschlicher Akteure, sondern richtet sich auf Momente, in denen gewöhnlich unbeachtete Bedürfnisse mit normativen Vorstellungen von Zeit und Raum routinierter oder institutioneller Prozesse in Konflikt geraten.
    (vgl. Diversity Arts Culture Berlin, Crip Time)

    Davos Festival 2024 | Festivalmagazin mit Interview
    Freibad Letzigraben Zürich 2024 

    Lea Sobbe | Blockflöte 
    Eleonora Bišćević |Traverso 
    Martin Jantzen | Viola da Gamba Zacarias Maia | Performer 
    Pascal Lund-Jensen | Objekt-Design + Klangregie 
    Nora Sobbe | Konzeption + Objekt-Design/Szenografie 
    Lea Sobbe | Konzeption + musikalische Leitung

    Wir danken der Medizinischen Sammlung des Instituts für Evolutionäre Medizin (Universtität Zürich) und insbesondere Sabina Carraro für den inhaltlichen Austausch im Vorfeld der Aufführung.

      21 22 23 DE Handeln durch Unterlassen. Ein installativ performatives Diskursformat


      ©Nora Sobbe


      FUNKTIONSWEISE DES INSTALLATIVEN AUFBAUS
      Der installative Aufbau kann bis zu 20 Buzzer umfassen, die auf visueller Ebene funktionieren. Pro Person gibt es einen Fuß-Buzzer. Teil der programmierten Gesprächsdramaturgie sind sogenannte Push-Phasen, in denen sich entscheidet, ob die Buzzer aufleuchten oder nicht. Ein Push-Button im Inneren des Buzzers kann mit dem Fuß betätigt werden. Die Entscheidung der Gesprächsteilnehmer*innen für oder gegen einen Buzzerpush erfolgt durch eine Kuppel nicht einsehbar und damit anonym. Drückt mindestens eine Person den Button im Inneren des Buzzers nicht, untebleibt das Aufleuchten der Buzzer und eine relfexive Phase über den Gesprächsraum wird eingeleitet.
      Im Folgenden werden die Phasen einer Diskussion im installativen Aufbau aufgelistet. Diese Liste ist nicht chronologisch zu verstehen. Die Reihenfolge, in der und ob alle Phasen durchlaufen werden, hängt vom Push-Verhalten der Diskussionsteilnehmer*innen während der Push-Phasen ab. Die Länge der Sprechphasen im Verlauf der Diskussion kann zu Beginn definiert werden. Eine Diskussion mit Diskussionsphasen à 13 min dauert gesamt 41-47 min – je nach Push-Verhalten der Diskussionsteilnehmer*innen während der Push-Phasen.

      PUSHPHASE
      Während der Pushphasen (à 1 min) werden die Gesprächsteilnehmer*innen gebeten, sich für oder gegen einen Buzzer-Push zu entscheiden: Der Buzzerpush meint eine bejahende Positionierung zur Gesprächssituation. Das Unterlassen eines Buzzerpushes initiiert eine reflexive Phase über den Gesprächsraum. Betätigen alle Gesprächsteilnehmer*innen den Fußtaster im Inneren des Buzzers, wird der Gesprächsraum wie bestehend aktualisiert und unter Aufleuchten der Buzzer erneut diskutiert. Unterlässt mindestens eine Person den Buzzer-Push, wird eine reflexive Phase über den Gesprächsraum eingeleitet (INTERIMSSCHWEIGEN| INTERIMSREFLEXION). Die sich ansließende Diskussionsphase findet unter Nicht-Aufleuchten der Buzzer statt.
      Es gibt insgesamt drei Pushpasen: 1x zu Beginn der Diskussion zum Launch des Mechanismus. 2x während des Gesprächs.

      DISKUSSION UNTER AUFLEUCHTEN
      Haben alle Gesprächsteilnehmer*innen sich mit einem Buzzerpush und damit bejahend zur Raumformation positioniert, schließt sich eine x-minütige Diskussionsphase unter Aufleuchten der Buzzer an.

      REFLEXIVE PHASE 1: KOLLEKTIVES SCHWEIGEN | REFLEXIVE PHASE 2: AUSTAUSCH ÜBER DISKUSSIONS-DYNAMIKEN SOWEIT
      Unterlässt mindestens eine Person den Buzzerpush während einer der Push-Phasen, wird ein 1-minütiges kollektives Schweigen/Innehalten initiiert. Unterlässt in einer darauffolgenden Push-Phase erneut mindestens eine Person den Buzzer-Push, kommt es zu einer 5-minütigen Reflexion über den Gesprächsraum und über Dynamiken der bisherigen Diskussion. Diese kann dazu genutzt werden, sich gemeinsam beschreibend dem Diskussionsraum zu nähern, jeweilige Erwartungen und mögliche Ansprüche an den Gesprächsraum zu kommunizieren oder auch Unbehagen bezüglich der bisherigen Diskussionsdynamiken zu äußern. Möglich ist es auch, den Raum zu verlassen – eine Option, die gewöhnlich immer schon besteht, aber wenn in einer Raumdramaturgie vorgesehen, möglicherweise niederschwelliger umzusetzen ist.

      DISKUSSIONSPHASE UNTER NICHT-AUFLEUCHTEN
      Nach einer reflexiven Phase im Diskussionsverlauf (REFLEXIVE PHASE 1 + 2) findet die anschließende Diskussions-Phase unter Nicht-Aufleuchten der Buzzer statt. Das Nicht-Aufleuchten der Buzzer inidziert eine momentane Vagheit hinsichtlich der Formation des Gesprächsraumes – zuvor wurde durch mindestens einen unterlassenen Buzzer-Push eine reflexive Phase initiiert.




      21 22 23


      Handeln  durch Unterlassen.
      Ein installativ-performatives Diskursformat


      Kurzbeschrieb:
      Handeln durch Unterlassen installiert eine programmierte Gesprächsdramaturgie. Sie ist charakterisiert über zwei Momente – sogenannte Push-Phasen –, die es den Teilnehmer*innen ermöglichen, schweigend und im Modus des Unterlassens in den Gesprächsraum zu intervenieren. Über Fuß-Buzzer miteinander verschaltet, können die Teilnehmer*innen durch Unterlassen eines Buzzerpushes reflexive Phasen über den Gesprächsraum einleiten. 

      Projektbeschrieb: Handeln durch Unterlassen versteht sich als Versuch, einen Diskursraum zu installieren, der sich in Momenten einer als gehemmt empfundenen Gesprächsdynamik reflexiv befragt. Entscheidend ist dabei, dass solche reflexiven Phasen während des Gesprächs schweigend und im Modus des Unterlassens initiiert werden können. Die programmierte Gesprächsdramaturgie ist charakterisiert über zwei Momente – sogenannte Push-Phasen –, die es den Teilnehmer*innen ermöglichen, schweigend und im Modus des Unterlassens in den Gesprächsraum zu intervenieren. Über Fuß-Buzzer miteinander verschaltet, können die Teilnehmer*innen durch Unterlassen eines Buzzerpushes reflexive Phasen einleiten. Unterlässt mindestens eine Person den Push während einer der Push-Phasen, wird ein 1-minütiges kollektives Schweigen/Innehalten initiiert. Unterlässt in einer darauffolgenden Push-Phase erneut mindestens eine Person den Buzzerpush, kommt es zu einer 5-minütigen Reflexion über den Gesprächsraum, beispielsweise über Sprechdynamiken der bisherigen Diskussion. Der Buzzer-Push erfolgt nicht einsehbar und damit anonym. Der Mechanismus kommuniziert mit den Gesprächsteilnehmer*innen über Lichtsignale.

      Forschungsinteresse: HdU reagiert auf ein Forschungsinteresse dahingehend, wie Schweigen wirksam in Gesprächssituationen integriert werden kann, ohne im Paradox zu verbleiben, schweigende Positionen einzuladen, ihr jeweiliges Schweigen sprechend zu kommentieren. In einer Art Hermeneutik des Schweigens habe ich begonnen, ausgehend von eigenen Erfahrungen mit Sprechdynamiken in verschiedenen Gesprächskontexten, das Spektrum verschiedener Modi des Schweigens zu erkunden. Schweigen kann beispielsweise ein sehr machtvoller Akt sein, anderen Gesprächsteilnehmer*innen den Gesprächsraum zuzuschreiben und sich einer Verantwortung für diesen geteilten Gesprächsraums und seiner möglichen Transformationen zu entziehen. Gleichzeitig ist Schweigen u.a. mit Miranda Fricker’s Konzept einer Hermeneutical Injustice [1] als ein potentielles Schweigen aufgrund ungleicher Machtverhältnisse struktureller Art zu bedenken. Miranda Fricker nimmt eine Form des Schweigens in den Blick, die sich mangels kollektiver hermeneutischer Ressourcen für bestimmte soziale Erfahrungen ereignet. 

      HdU als Host für Nachgespräche: HdU eignet sich unter anderem auch als Diskussionsformat für Nachgespräche zu Performances. Im Gegensatz zum „Artist Talk“ sehe ich im installativen Aufbau die Chance, die konstitutive Funktion des Publikums für Aufführungen in den Blick zu nehmen – durch die Verschaltung der Diskussionsteilnehmer*innen über Fußbuzzer wird ein Verständnis eines Diskursraums vorgeschlagen, der alle physisch Anwesenden als am Diskurs Beteiligte mitbedenkt und nicht nur zeitweilig Sprechende einbezieht.

      [1] Miranda Fricker, Epistemic Injustice. Power and the Ethics of Knowledge, New York 2007.

      2023 Push-Play, eine Kooperationsveranstaltung des Sonic Matter Festival und des Studio zeitgenönissche Musik der ZHdK
      2022 Diskurs-Festival Gießen 
      2021 State of the Art 13. Interdisziplinäres Kunstfestival Hildesheim

      Konzept | Objekt-Design: Nora Sobbe
      Technische Realisierung | Licht-Design: Paul Matyschok
      Weiterentwicklung der technischen Realisierung des Push-Button: Antonía Orfanou
      Dramaturgische Unterstützung: Ronja Landtau
      Moderation: Ronja Landtau | Olga Popova



      22 DE [sic]nals – liminoid


      ©Nora Sobbe

      22


      [sic]nals – liminoid

      liminoid initiiert ritualisierte Abläufe im Baptisterium des Kölner Dom. Drei Musiker*innen/Performer*innen begegnen dem ehemals sakralen Raum – heute ein profaner Ort von archäologischem Interesse –, der zwischen dem Kölner Dom und der vom Bahnhofsgeschehen belebten Fußgängerzone vermittelt. Besucher*innen werden eingeladen, mit den Musiker*innen/Performer*innen zu Momenten des Dazwischen zu forschen. Musikalischer Ausgangspunkt ist dabei das lutherische Kirchenlied »Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ«. Verschiedene barocke Bearbeitungen des Stücks, u. a. von Johann Sebastian Bach, werden zum Material für musikalisches Konstruieren und Dekonstruieren, das den Musiker*innen ein improvisierendes Miteinander ermöglicht.

      Victor Turner (1920-1983) entlehnt den Begriff der “liminalen Phase” (lat. Limen – die Schwelle) ethnologischen Studien zu Übergangsriten und modifiziert ihn für das Theater “komplexer”, “postindustrieller Gesellschaften”. Aufführungsmomente, verstanden als “liminoide Prozesse” (“den liminalen Phänomenen [ähnelnd], ohne ihnen gleich zu sein”), verfügen nach Turner über das Potenzial, als “unabhängige und kritische Quelle” gegenüber derzeit verbindlich geltenden sozialen Ordnungen zu wirken:
          Wie aber kann ein möglicherweise transformatives Potenzial solcher Schwellenphasen über Aufführungssituationen hinweg nachhaltig wirken? Welche Handlungsmacht tragen Performende, Besucher*innen und Objekte der Performance
      und wie können sie nach Aufführungsende weiter miteinander kommunizieren? 
      (Victor Turner, Vom Ritual zum Theater)

      Teil der Aufführung von liminoid ist ein klingendes Objekt, das am Ende der Performance von einem Performer aktiviert wird. Einer aufziehbaren Spieluhr gleich kann es für einen bestimmten Zeitraum nicht willentlich gestoppt werden. Drei solcher klingenden Objekte werde gegen Ende der Performance Personen aus dem Publikum übergeben. Sie werden gebebeten, es an eine Annahmestelle zu bringen, die nur erreicht werden kann, in dem der öffentliche Raum passiert wird. Aus den drei Objekten erklingen Fragmente der Performance. Der Sound der drei Objekte greift ineinander.


      Martin Jantzen | Viola da Gamba
      Zacarias Maia | Performer
      Juri Rendler | Realisierung Objekt 
      Ronja Landtau | Outside Eye
      Nora Sobbe | Konzeption + Objekt-Design + Szenografie
      Lea Sobbe | Konzeption + Musikalische Leitung + Blockflöten

      2022 Original-Klang Festival FEL!X Köln

      21 EN even the greatest stars live their lifes in the looking glass



      ©Nora Sobbe


      21


      even the greates stars live their lifes in the looking glass

      Der Spielgeraufbau funktioniert über zwei Performer*innen. Performer*in1 hält ein Handy mit verspiegelter Rückseite in der einen Hand und in der anderen Hand einen weiteren Spiegel. Performer*in1 positioniert sich  vor einem Ganzkörperspiegel , den Performer*in2 hält. Performer*in1 konstruiert ein Selbst und inszeniert sich über Versatzstücke der Umgebung, die sich hinter Performer*in2 befindet, in den Spiegel hinein. Performer*in1 hält die Spiegelillusion im Foto fest. 

      Woraus ich mich mit dem installativen Aufbau befreien will, ist der Blick eines/einer Anderen als Voraussetzung dafür, mich mir zu vergewissern. Ich suche nach einem Prozess der Subjektwerdung, der sich losgelöst vom Blick des/der Anderen vollzieht. 

      In Die Heterotopien. Der Utopische Körper setzt Foucault den Körper als “Hauptakteur aller Utopien”.  Ein Arretieren dieser Utopie meint Foucault allein in der Liebe, dem Blick in den Spiegel oder mittels Tod erreichen zu können.[1] Ich frage danach, ob eine Realisierung der Utopie des Körpers durch den Blick in den Spiegel als besonders autonomer Akt einer Subjektwerdung verstanden werden kann. Der Spiegel dabei als Mittler von der Utopie zur Heterotopie. [2] Das Utopische am Spiegel bleibt, dass ich mir meiner nur von einem virtuellen Punkt aus gewiss werde – vom Blcik aus dem Spiegel heraus. Zugleich aber gewinnt mein Standpunkt an Realität, indem er sich beim Blcik in den Spiegel mit dem Umraum verbindet. 
          Ich gehe weiter, indem ich frage, ob die Subjektwerdung mittels Spiegel einem ermächtigendem Akt gleichkommt. Einem ermächtigendem Akt gegenüber dem Blick Dritter im Versuch den Körper in ein Hier zu befördern und dabei nicht auf den Blick eines*einer Liebenden angewiesen zu sein, sondern durch den Blick in den Spiegel, den Körper ins Hier zu beföerden und sich dabei vorzubehalten, die Spiegelillusion mitgestalten zu können. 
          Der Blick Dritter ist Ausgangspunkt meines installativen Aufbaus, in einer Zählung, die den Blick in den Spiegel, den Blick aus dem Spiegel heraus und den Blick einer weiteren Person, die die Blick-in-den-Spiegel Szenerie überblickt, listet. 

      [1] Endlich ist da ein Blick [in der Liebe, N.S.], der die geschlossenen Lider zu sehen vermag. Wie der Spiegel und der Tod, so besänftigt auch die Liebe die Utopie des Körpers, lässt sie verstummen, beruhigt sie, sperrt sie gliechsam in einen Kasten, den sie verschließt und versiegelt. Deshalb sind Spiegelillusion und Todesdrohung einander so ähnlich. Und wenn wir trotz der beiden bedrohlichen Figuren, die sie umgeben, dennoch so gerne einander lieben, so weil in der Liebe der Körper hier ist.“ 
      (Foucault, Die Heterotopien. Der Utopische Körper)

      [2] In Andere Räume definiert Foucault die Heterotopien als „tatsächlich realisierte Utopie“.


      Video Installativer Aufbau/Performance

      Videodokumentation Installation beim Auftakt Festival Köln


      Glossar mit Foucault

      UTOPIE
      Utopie = „wesentlich unwirkliche Räume“ (Foucault, Andere Räume)

      „Es gibt also Länder ohne Orte und Geschichten ohne Chronolie. [...] Diese Städte, Kontinente und Planeten sind natürlich, wie man so sagt im Kopf [...].“ 
      (Foucault, Die Heterotopien. Der utopische Körper)


      HETEROTOPIE
      Heterotopie = „tatsächlich realisierte Utopie“ (Foucault, Andere Räume)

      „Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien.“ (Foucault, Andere Räume)


      SPIEGEL
      „Der Spiegel ist [...] eine Utopie, sofern er ein Ort ohne Ort ist. [...] Aber der Spiegel ist auch eine Heterotopie, insofern er wirklich existiert und insofern er mich auf den Platz zurückschickt, den ich wirklich einnehme; vom Spiegel aus entdecke ich mich als abwesend auf dem Platz, wo ich bin, da ich mich dort sehe [...].“ (Foucault, Andere Räume)