21 22 23 DE Handeln durch Unterlassen. Ein installativ performatives Diskursformat
©Nora Sobbe
FUNKTIONSWEISE DES INSTALLATIVEN AUFBAUS
Der installative Aufbau kann bis zu 20 Buzzer umfassen, die auf visueller Ebene funktionieren. Pro Person gibt es einen Fuß-Buzzer. Teil der programmierten Gesprächsdramaturgie sind sogenannte Push-Phasen, in denen sich entscheidet, ob die Buzzer aufleuchten oder nicht. Ein Push-Button im Inneren des Buzzers kann mit dem Fuß betätigt werden. Die Entscheidung der Gesprächsteilnehmer*innen für oder gegen einen Buzzerpush erfolgt durch eine Kuppel nicht einsehbar und damit anonym. Drückt mindestens eine Person den Button im Inneren des Buzzers nicht, untebleibt das Aufleuchten der Buzzer und eine relfexive Phase über den Gesprächsraum wird eingeleitet.
Im Folgenden werden die Phasen einer Diskussion im installativen Aufbau aufgelistet. Diese Liste ist nicht chronologisch zu verstehen. Die Reihenfolge, in der und ob alle Phasen durchlaufen werden, hängt vom Push-Verhalten der Diskussionsteilnehmer*innen während der Push-Phasen ab. Die Länge der Sprechphasen im Verlauf der Diskussion kann zu Beginn definiert werden. Eine Diskussion mit Diskussionsphasen à 13 min dauert gesamt 41-47 min – je nach Push-Verhalten der Diskussionsteilnehmer*innen während der Push-Phasen.
PUSHPHASE
Während der Pushphasen (à 1 min) werden die Gesprächsteilnehmer*innen gebeten, sich für oder gegen einen Buzzer-Push zu entscheiden: Der Buzzerpush meint eine bejahende Positionierung zur Gesprächssituation. Das Unterlassen eines Buzzerpushes initiiert eine reflexive Phase über den Gesprächsraum. Betätigen alle Gesprächsteilnehmer*innen den Fußtaster im Inneren des Buzzers, wird der Gesprächsraum wie bestehend aktualisiert und unter Aufleuchten der Buzzer erneut diskutiert. Unterlässt mindestens eine Person den Buzzer-Push, wird eine reflexive Phase über den Gesprächsraum eingeleitet (INTERIMSSCHWEIGEN| INTERIMSREFLEXION). Die sich ansließende Diskussionsphase findet unter Nicht-Aufleuchten der Buzzer statt.
Es gibt insgesamt drei Pushpasen: 1x zu Beginn der Diskussion zum Launch des Mechanismus. 2x während des Gesprächs.
DISKUSSION UNTER AUFLEUCHTEN
Haben alle Gesprächsteilnehmer*innen sich mit einem Buzzerpush und damit bejahend zur Raumformation positioniert, schließt sich eine x-minütige Diskussionsphase unter Aufleuchten der Buzzer an.
REFLEXIVE PHASE 1: KOLLEKTIVES SCHWEIGEN | REFLEXIVE PHASE 2: AUSTAUSCH ÜBER DISKUSSIONS-DYNAMIKEN SOWEIT
Unterlässt mindestens eine Person den Buzzerpush während einer der Push-Phasen, wird ein 1-minütiges kollektives Schweigen/Innehalten initiiert. Unterlässt in einer darauffolgenden Push-Phase erneut mindestens eine Person den Buzzer-Push, kommt es zu einer 5-minütigen Reflexion über den Gesprächsraum und über Dynamiken der bisherigen Diskussion. Diese kann dazu genutzt werden, sich gemeinsam beschreibend dem Diskussionsraum zu nähern, jeweilige Erwartungen und mögliche Ansprüche an den Gesprächsraum zu kommunizieren oder auch Unbehagen bezüglich der bisherigen Diskussionsdynamiken zu äußern. Möglich ist es auch, den Raum zu verlassen – eine Option, die gewöhnlich immer schon besteht, aber wenn in einer Raumdramaturgie vorgesehen, möglicherweise niederschwelliger umzusetzen ist.
DISKUSSIONSPHASE UNTER NICHT-AUFLEUCHTEN
Nach einer reflexiven Phase im Diskussionsverlauf (REFLEXIVE PHASE 1 + 2) findet die anschließende Diskussions-Phase unter Nicht-Aufleuchten der Buzzer statt. Das Nicht-Aufleuchten der Buzzer inidziert eine momentane Vagheit hinsichtlich der Formation des Gesprächsraumes – zuvor wurde durch mindestens einen unterlassenen Buzzer-Push eine reflexive Phase initiiert.
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Handeln durch Unterlassen.
Ein installativ-performatives Diskursformat
Kurzbeschrieb: Handeln durch Unterlassen installiert eine programmierte Gesprächsdramaturgie. Sie ist charakterisiert über zwei Momente – sogenannte Push-Phasen –, die es den Teilnehmer*innen ermöglichen, schweigend und im Modus des Unterlassens in den Gesprächsraum zu intervenieren. Über Fuß-Buzzer miteinander verschaltet, können die Teilnehmer*innen durch Unterlassen eines Buzzerpushes reflexive Phasen über den Gesprächsraum einleiten.
Projektbeschrieb: Handeln durch Unterlassen versteht sich als Versuch, einen Diskursraum zu installieren, der sich in Momenten einer als gehemmt empfundenen Gesprächsdynamik reflexiv befragt. Entscheidend ist dabei, dass solche reflexiven Phasen während des Gesprächs schweigend und im Modus des Unterlassens initiiert werden können. Die programmierte Gesprächsdramaturgie ist charakterisiert über zwei Momente – sogenannte Push-Phasen –, die es den Teilnehmer*innen ermöglichen, schweigend und im Modus des Unterlassens in den Gesprächsraum zu intervenieren. Über Fuß-Buzzer miteinander verschaltet, können die Teilnehmer*innen durch Unterlassen eines Buzzerpushes reflexive Phasen einleiten. Unterlässt mindestens eine Person den Push während einer der Push-Phasen, wird ein 1-minütiges kollektives Schweigen/Innehalten initiiert. Unterlässt in einer darauffolgenden Push-Phase erneut mindestens eine Person den Buzzerpush, kommt es zu einer 5-minütigen Reflexion über den Gesprächsraum, beispielsweise über Sprechdynamiken der bisherigen Diskussion. Der Buzzer-Push erfolgt nicht einsehbar und damit anonym. Der Mechanismus kommuniziert mit den Gesprächsteilnehmer*innen über Lichtsignale.
Forschungsinteresse: HdU reagiert auf ein Forschungsinteresse dahingehend, wie Schweigen wirksam in Gesprächssituationen integriert werden kann, ohne im Paradox zu verbleiben, schweigende Positionen einzuladen, ihr jeweiliges Schweigen sprechend zu kommentieren. In einer Art Hermeneutik des Schweigens habe ich begonnen, ausgehend von eigenen Erfahrungen mit Sprechdynamiken in verschiedenen Gesprächskontexten, das Spektrum verschiedener Modi des Schweigens zu erkunden. Schweigen kann beispielsweise ein sehr machtvoller Akt sein, anderen Gesprächsteilnehmer*innen den Gesprächsraum zuzuschreiben und sich einer Verantwortung für diesen geteilten Gesprächsraums und seiner möglichen Transformationen zu entziehen. Gleichzeitig ist Schweigen u.a. mit Miranda Fricker’s Konzept einer Hermeneutical Injustice [1] als ein potentielles Schweigen aufgrund ungleicher Machtverhältnisse struktureller Art zu bedenken. Miranda Fricker nimmt eine Form des Schweigens in den Blick, die sich mangels kollektiver hermeneutischer Ressourcen für bestimmte soziale Erfahrungen ereignet.
HdU als Host für Nachgespräche: HdU eignet sich unter anderem auch als Diskussionsformat für Nachgespräche zu Performances. Im Gegensatz zum „Artist Talk“ sehe ich im installativen Aufbau die Chance, die konstitutive Funktion des Publikums für Aufführungen in den Blick zu nehmen – durch die Verschaltung der Diskussionsteilnehmer*innen über Fußbuzzer wird ein Verständnis eines Diskursraums vorgeschlagen, der alle physisch Anwesenden als am Diskurs Beteiligte mitbedenkt und nicht nur zeitweilig Sprechende einbezieht.
[1] Miranda Fricker, Epistemic Injustice. Power and the Ethics of Knowledge, New York 2007.
Konzept | Objekt-Design: Nora Sobbe
Technische Realisierung | Licht-Design: Paul Matyschok
Weiterentwicklung der technischen Realisierung des Push-Button: Antonía Orfanou
Dramaturgische Unterstützung: Ronja Landtau
Moderation: Ronja Landtau | Olga Popova